Das Wesen des Sprachsinns und die Eurythmie

Wenn wir auf die Sinneswelt hinblicken, die uns umgibt, so können wir uns bewußt werden, dass sie aus dem Umkreis des Tierkreises gebildet wurde und der Mensch sich nun für sein Bewußtsein diese geschaffene Welt durch den Kreis seiner Sinne nachschafft. Bei jedem Gegenstand, den wir im Alltagsbewußtsein betrachten, handelt es sich immer um ein Zusammenwirken mehrerer Sinne, nie um einen allein. Nehmen Sie als Beispiel eine Rose: nicht nur der Sehsinn wird angesprochen, auch der Formsinn, den wir zum Bewegungssinn rechnen, dann der Geruchssinn und der Tastsinn, wenn ich sie in die Hand nehme. Das fügt sich zusammen zu einer Gesamtwahrnehmung dieser Rose. Als umfassendste Wahrnehmung in der Sinneswelt tritt mir der Mensch gegenüber: hier können im Idealfall alle zwölf Sinne angesprochen werden: angefangen vom Tastsinn beim Händegeben bis hin zum Sehsinn, Hörsinn, Sprach­, Gedanken­ und Ich­Sinn. Durch die Zwölfheit des Tierkreises wird etwas durch den natürlichen Schaffensprozeß in die Welt hineingeboren, hineingestellt. Durch die Zwölfheit der Sinne wird es für das Bewußtsein des Menschen nachgeschaffen. Nun fordert Rudolf Steiner für die Kunst, dass sie nur durch die ihr eigenen Mittel wirken solle und dieses Prinzip legt er seinen Erneuerungsimpulsen für die Künste zugrunde. Dies läßt sich am Beispiel der Malerei leicht nachvollziehen. Diese macht einen Abstieg durch, nimmt seit der Renaissance das Gesetz des äußeren Raumes in der Perspektive in sich auf und das Kunstprinzip des 18., 19. Jahrhunderts könnte man vielleicht so formulieren: je vollkommener der künstlerische Schaffensprozeß die äußere Natur nachahmt, um so vollkommener ist auch die Kunst. Man könnte als Ideal ansehen, einen Apfel so zu malen, dass man in die Leinwand greift, um ihn in den Mund zu stecken. Das äußerlich räumliche Sehen wird nachgeschaffen. Mit dem 20. Jahrhundert beginnt ein ganz anderes Suchen und Rudolf Steiner gibt nun den Impuls, Perspektive durch das Mittel der Farbe zu erzeugen, also im Bereich der Farbe zu bleiben, anstatt eine fremde Gesetzmäßigkeit da hineinzutragen. In dieser Welt der Farben entsteht nun aber wiederum ein ganzer Umkreis von Qualitäten: Farb­Räume, Farb­Dynamik - ich finde eine Gesamtheit wieder, aber nicht naturalistisch sondern durch das Wahrnehmungsspektrum des Sehsinnes. Die Farbe selbst wird dadurch etwas anderes: sie haftet nicht mehr an den Gegenständen, sondern ist lebendig. Anstatt einem Gewordenen gegenüberzustehen, tauche ich durch das Tor des Sehsinns hinein in eine dynamische Welt des Werdenden. Dies entspricht bereits einem Schritt über die Schwelle, den ich als Kunst­Schaffender aber auch als Kunst­Wahrnehmender vollziehen muß. Rudolf Steiner spricht ja davon, dass hinter den Erscheinungen der Sinneswelt .rieselnder Wille" zu finden sei. In der Naturwelt ist etwas aus den verschiedenen Tierkreisbereichen zusammengeballt, .konkretisiert" worden, hat eine feste Form angenommen, in der die verschiedensten Qualitäten zu einer Gesamtheit zusammenge.backen" sind und es für das Alltagsbewußtsein auch bleiben. Solange ich mich nicht schule, einen einzelnen Sinnesbereich für sich zu betrachten, habe ich kein Bewußtsein für das, was die einzelnen Sinne zu diesem Gesamteindruck beitragen. Tauche ich jedoch bewußt wahrnehmend in einen Sinnesbereich ein, finde ich ein Tor zu den schaffenden Kräften. Der Weg durch alle 12 Tore zugleich wäre der Weg zurück in die Vorgeburtlichkeit, in die Auflösung. Der Weg durch ein Tor dagegen ist möglich, ohne das Ich­Bewußtsein zu verlieren. Für die Welt der Sprache und des Schauspiels stellt Rudolf Steiner die entsprechende Forderung auf: aus der Qualität der Laute, der Sprache zu schaffen und nicht realistisch Alltagssprache nachzuahmen. Er charakterisiert den Naturalismus im Schauspiel so, dass man eigentlich eine Alltagssituation nimmt, z. B. einen Streit zweier Menschen in einem Zimmer - und dann lediglich eine Wand wegnimmt, als Öffnung zum Publikum, das dann eben Zeuge werden kann. Anstatt also Seelenstimmungen des Alltags nachzuahmen, kann der Sprachgestalter und der aus der Sprache arbeitende Schauspieler in die Urbilder der Laute eintauchen und aus ihnen heraus schaffen. Damit sind wir bereits mitten im Thema des Sprachsinnes, des Lautsinnes und Wortsinnes. Der Gehörsinn ist lediglich die Voraussetzung dafür, dass dieser Sinn tätig werden kann. Um Sprache wahrzunehmen, brauche ich den Höreindruck, brauche den Ton, den Klang - doch die Sprache selbst ist noch etwas anderes. In den Lauten der Sprache haben wir plastische Formen, die im Ätherischen leben und sich mit Stimme ausfüllen, um hörbar zu werden. Wenn ich einen Laut sprachlich bilden will, beginne ich zuerst mit dem Artikulationsansatz, in den hinein dann der Ton sich legt. Nicht aber ist es primär die Stimme, die dann von den Mundwerkzeugen geformt würde. Das ist deutlich bei den Konsonanten, gilt aber auch für die Vokale: auch hier ist das erste die Mundstellung, dann erst der Ton. Die Schwelle, von der ich vorhin sprach, gilt auch für den Sprachsinn, sobald ich nicht im Alltagsgebrauch den Sprachsinn benutze, um ein Wort zu verstehen, sondern durch ihn hindurchzugehen versuche in die Welt der Sprache, die ja die Welt schaffender Kräfte ist. Nach dieser Einleitung möchte ich mich der Frage zuwenden, wie der Sprachsinn gebildet ist und was wir durch ihn eigentlich wahrnehmen. Gestern wurde geschildert, wie die Eurythmie möglich wird, indem im Bereich der unteren Sinne Wahrnehmung möglich wird. Der Wille wird von Wahrnehmung durchdrungen - d.h. wir wachen auf in einem Bereich, in dem wir sonst schlafen. Dieses Prinzip liegt ja allgemein dem Schwellenübertritt zugrunde. Ich möchte nun nochmal Rudolf Steiners Beschreibung des Sprachsinnes vorlesen: ....wir haben also nicht nur einen Sprachsinn, sondern wir haben auch eine Sprachfähigkeit, eine Sprachmöglichkeit; wir sprechen selber. Und das ist nun interessant und wichtig, welches das Verhältnis ist zwischen unserer Fähigkeit, zu sprechen, und unserer Fähigkeit, die Sprache zu verstehen; also jetzt nicht die Töne zu hören, bitte unterscheiden Sie das, sondern die Sprache zu verstehen. Tonsinn und Sprachsinn muß da genau unterschieden werden. Also wir können nicht nur die Worte des andern verstehen, sondern wir können selber sprechen . Wie verhält sich das eine zum anderen, das Sprechen zum Sprach­Verstehen?" "Wenn wir den Menschen untersuchen mit den Mitteln der Geisteswissenschaft, so finden wir, dass dasjenige, was dem Worte­Verstehen zugrunde liegt und was dem Sprechen zugrunde liegt, sehr verwandt ist miteinander. Wenn wir auf das blicken wollen, was eigentlich dem Sprechen zugrunde liegt, so können wir zunächst zurückgehen bis zum menschlichen seelischen Leben, in dem ja für jeden, der vernünftig ist, unleugbar der Ausgang des Sprechens liegt. Das Sprechen stammt aus dem Seelischen, wird angefacht durch den Willen im Seelischen. Ohne dass wir wollen, also einen Willensimpuls entwickeln, kommt natürlich kein gesprochenes Wort zustande. Beobachtet man nun geisteswissenschaftlich den Menschen, wenn er spricht, so geschieht etwas ähnliches in ihm, wie da geschieht, wenn er das Gesprochene versteht. Aber das, was da geschieht, wenn der Mensch selber spricht, umfaßt einen viel kleineren Teil des Organismus, viel weniger vom Bewegungsorganismus. Das heißt, der ganze Bewegungsorganismus kommt in Betracht als Sprachsinn, als Wortesinn; der ganze Bewegungsorganismus ist Sprachsinn zugleich. Ein Teil ist herausgehoben und wird in Bewegung versetzt durch die Seele, wenn wir sprechen, - ein Teil dieses Bewegungsorganismus. Und dieser herausgegriffene Teil des Bewegungsorganismus, der hat eben sein hauptsächliches Organ im Kehlkopf, und das Sprechen ist Erregung der Bewegungen im Kehlkopf durch die Impulse des Willens. Was im Kehlkopf vorgeht beim eigenen Sprechen, kommt so zustande, dass aus dem Seelischen heraus die Willensimpulse kommen und den im Kehlkopfsystem konzentrierten Bewegungsorganismus in Bewegung versetzen, während unser gesamter Bewegungsorganismus Sinnesorganismus ist für die Wortewahrnehmung. Nur, dass wir diesen Bewegungsorganismus, indem wir Worte wahrnehmen, in Ruhe halten. Gerade dadurch, dass wir ihn in Ruhe halten, gerade dadurch nehmen wir die Worte wahr und verstehen die Worte." (Aus: Das Rätsel des Menschen, GA 170, 14. Vortrag vom 2. Sept. 1916) Dem Sprechen liegt also selbstverständlich der Wille zugrunde, dem Verstehen dass ich den Willen staue, zurückhalte und dadurch die Möglichkeit entsteht, mit diesem Willen das aufzunehmen, was vom Ohr kommt. Rudolf Steiner schildert das Organ des Sprachsinns als den in Ruhe befindlichen Bewegungsorganismus, der erregt wird, dann aber zurückgehalten wird von der Ausführung der Bewegung. Also die innere Bewegung muß geschehen, aber sie darf dann nicht in die äußere Bewegung übergehen. Diese ätherische Bewegung bleibt also frei von einer bestimmten Willensintention, von der Absicht, eine bestimmte Bewegung etwa mit dem Arm auszuführen, sie bleibt ungeformt und kann deshalb durch den Kehlkopf dem Ohr entgegenströmen und die Formung dann vom Gehöreindruck empfangen. Indem beide Richtungen ineinanderwirken, können wir ein Wort verstehen. Das schildert Rudolf Steiner im Vortrag vom 9. 12. 1922: "Sie hören, sagen wir, irgendein Wort: 'Baum'. Sie können selbst das Wort 'Baum' sprechen, verbinden damit einen Sinn. Was heißt das: Sie hören das Wort 'Baum' Das heißt, es lebt in Ihrem Ohre auf die Art, wie ich es jetzt geschildert habe, in Organen, die himmlischen Tätigkeiten nachgebildet sind, dasjenige, was Sie in dem einfachen Wort'Baum' aussprechen. Sie können das Wort 'Baum' sagen. Was bedeutet das, Sie können das Wort'Baum' sagen? Das bedeutet, die irdische Luft wird durch den Kehlkopf und die Werkzeuge des Mundes und so weiter in eine solche Formation gebracht, dass das Wort'Baum' zur Offenbarung kommt. Aber das ist das zweite Ohr gegenüber dem Hören. Das dritte ist aber etwas anderes, das nur nicht genügend wahrgenommen wird. Wenn Sie das Wort'Baum' hören, dann sprechen Sie mit Ihrem ätherischen Leibe leise - nicht mit Ihrem physischen Leibe, aber mit Ihrem ätherischen Leibe -, leise auch 'Baum'. Und durch die sogenannte eustachische Trompete, die vom Munde in das Ohr geht, tönt ätherisch das Wort 'Baum' dem von außen kommenden Wort 'Baum' entgegen. Die zwei begegnen sich, und dadurch verstehen Sie das Wort 'Baum'. Sonst würden Sie das hören, und es wäre irgend etwas. Verstehen tun Sie es dadurch, dass Sie dasjenige, was von außen kommt, durch die eustachische Trompete zurücksagen. Und indem so die Schwingungen von außen sich begegnen mit den Schwingungen von innen und sich ineinanderlegen, versteht der innere Mensch dasjenige, was von außen kommt." (Stuttgart 9.12.22, in: Geistige Zusammenhänge in der Gestaltung des Organismus, GA 218; auch enthalten in: Thementaschenbuch Nr. 2, Sprache und Sprechen, S. 95) Der Formkraft von der Seite des Ohres steht die freie Beweglichkeit von der Seite des Bewegungsorganismus gegenüber, die im Kehlkopf zusammenströmt. Was lebt in dieser freien Beweglichkeit des Ätherleibes? Es sind alle Bewegungsmöglichkeiten, es sind die Lautkräfte, Lautformen in ihrer Gesamtheit. Erst wenn wir eine Bewegung äußerlich, physisch ausführen oder einen Laut sprechen, müssen wir uns auf eine bestimmte Bewegung innerhalb dieser Gesamtheit von Bewegungen beschränken. Die freie ätherische Bewegung gerinnt dann in eine Form, kommt gerade dadurch, dass wir die Bewegung äußerlich ausführen, ätherisch zur Ruhe. Betrachten wir auf diesem Zusammenhang die frühkindliche Entwicklung: Bis zur Geburt wird der Leib gebildet aus den kosmischen Umkreiskräften. Auch nach der Geburt wirkt der Kosmos noch über sein irdisches Abbild, den Kopf. Doch im gleichen Maße, wie die Bewegungsentwicklung geschieht, lösen sich bereits wieder diese schaffenden Kräfte aus dem unmittelbaren Wirken im Leiblichen. Sie geraten damit unter die natürlich noch ganz unbewußte Kontrolle der Ich­Tätigkeit des Kindes. Zuerst geschieht dies im Blick; er greift in die Welt - die freie Beweglichkeit des Auges wird zielgerichtet. Dasselbe geschieht dann im Griff und schließlich am Ende des ersten Jahres wird der ganze Bewegungsleib ergriffen und in den Raum hinein aufgerichtet. Das Kind kann laufen, kann sich frei bewegen und das ist Grundlage seiner Ich­Entwicklung. Ist dieses Freiwerden der Bewegungskräfte zu einem gewissen Abschluß gekommen, kann die Sprachentwicklung beginnen. Die bildenden Kräfte sind Bewegungskräfte geworden; sie lösen sich nun wiederum aus dem Bewegungsorganismus und werden zu Sprachkräften. Im dritten Lebensjahr dann verfeinern sich diese Kräfte noch einmal und damit wird aus dem Sprachorganismus das Denken geboren. Das ist alles Grundlage für das Wirken des Ich. Diese Kräfte werden aus dem leiblichen Zusammenhang wieder .herausdestilliert", nachdem sie ihn geschaffen haben, und indem das Ich lernt, mit diesen Kräften umzugehen, wird der Mensch vom Geschöpf zum Schöpfer. Kehren wir zum Sprachsinn zurück. Die Substanz der freien Beweglichkeit strömt aus dem Bewegungsorganismus auf, wird durch den Kehlkopf gebündelt und gerinnt in die Form des von außen kommenden Höreindrucks. In diesem Zusammenkommen von Form und Beweglichkeit verstehen wir das Wort. Und in diesem Verstehen haben wir ein Erlebnis, das nicht mehr irdisch ist, obwohl es der Sinneswelt angehört. Wir nehmen bereits etwas wahr, was nur im Ätherischen Realität hat und erfüllt ist mit Seelisch­Geistigem. Wie verhält sich aber dieses alltägliche Verstehen zum Erlebnis eines Lautes, eines Lautwesens? Tritt nicht im alltäglichen Wahrnehmen eines Lautes etwas wie eine Abschattung dieser eigentlichen Wesensbegegnung auf? Selbstverständlich ist auch mit dieser Wesensbegegnung nur eine Ahnung dessen gemeint, was dieses Wesen tatsächlich ist. Und doch können diese Wesen .unsere Lehrmeister" sein, durch uns bis in die irdische Welt wirken. Laute haben Schaffenskraft, gehören dem Umkreis der schaffenden Kräfte an. Warum aber müssen der freie, ungeformte Wille und die Wahrnehmung als von außen gegebene Form im Bereich des Sprachorganismus von zwei getrennten Organen, Kehlkopf und Ohr getragen werden, um dann in der Eustachischen Röhre zusammenzufließen? Im Auge ist der wollend­blickende und der aufnehmend­sehende Teil ganz selbstverständlich zu einer Einheit verbunden. Zwischen Ohr und Kehlkopf dagegen ist ein freier Zwischenraum gelassen, was zusammengehört, ist auseinandergelegt, und dazwischen wird ein Raum, ein Spannungsfeld gebildet. Gerade dadurch, dass hier etwas nicht fest ineinandergefügt ist, wird möglich, dass der Mensch unmittelbar Anteil an den schaffenden Kräften der Ätherischen Welt haben und das Wesen der Sprache sich hier offenbaren kann. Wenden wir uns nun dem Heileurythmiekurs zu. Im ersten Vortrag schildert Rudolf Steiner die Systeme von Kehlkopf­Luftröhre und Ohr­Hinterhaupt­Rippen als Metamorphose. Beide stehen sich gegenüber, wobei der Kehlkopf nach hinten, dem Hinterhaupt zu, eurythmisiert. Im parallel zum Heileurythmiekurs gehaltenen Ärztekurs bezeichnet Rudolf Steiner den Bereich des Hinterhauptes als den eigentlich physischen Bereich im Menschen. In dieser Schale des Hinterhauptes ist also Physisches ganz zur Form geworden. Demgegenüber ist der Kehlkopf frei beweglich in Muskeln aufgehängt, also der Schwere enthoben und wird durchströmt von Luft. Zwischen fester Form und freier Beweglichkeit wird das Sprachwesen, das Logoswesen offenbar - mehr noch, der Mensch kann damit in Verbindung treten, selbst damit umgehen. Funktionell wird dieses Prinzip am Ende des Heileurythmiekurses wieder aufgegriffen. Im 6. Vortrag, dem letzten, der vor Eurythmisten gehalten wurde, schildert Rudolf Steiner die Physiologie des Eurythmisierens. Anders als in vielen Ansprachen, in denen er immer wieder ausgeht vom Eurythmisierenden als Kehlkopf, spricht er hier ausdrücklich vom Hörenden: "Also derjenige, der eurythmisiert - der kommt ja physiologisch für uns jetzt in Betracht -, hört an, er hört zu. Das ist das erste, was wesentlich zu beachten ist: er hört zu. Also er spricht nicht selbst, er hört zu. Das ist das Wesentliche. Und er hört etwas an, was im wesentlichen das sinnerfüllte Wort, der sinnerfüllte Wortzusammenhang ist. Also er hört sich etwas an, worinnen Denktätigkeit, Vorstellungstätigkeit lebt. Dasjenige, was er äußerlich wahrnimmt, ist Vorstellungstätigkeit, gekleidet in den Lautzusammenhang. Nicht wahr, das ist etwas, was der Mensch in seinem wachen Tagesleben oftmals tut. Was geschieht da eigentlich, wenn der Mensch in seinem wachen Tagesleben dieses tut? Sie werden leicht merken, wenn Sie psychologisch­physiologisch sich den Vorgang überlegen, dass beim Zuhören stattfindet ein leises partielles Einschlafen. Ich und astralischer Leib gleiten hinüber in dasjenige, was sie aufnehmen, sie leben sich hinein in dasjenige, was sie aufnehmen. Der Mensch tritt also gewissermaßen leise aus sich heraus, indem er zuhört. Er verfällt, indem er zuhört, in einen Zustand, der schlafähnlich und wieder nicht schlafähnlich ist. Schlafähnlich ist er dadurch, dass sein Ich und sein astralischer Leib leise heraustreten. Nicht schlafähnlich ist er dadurch, dass dieses Ich und der astralische Leib doch empfänglich, wahrnehmend bleiben und sich bewußt bleiben. Es ist also dasjenige, was da sich abspielt, außerordentlich ähnlich dem Imaginieren. Es ist ein leises bewußtes Imaginieren, das noch sehr stark in das Unterbewußte hinuntergedrängt ist. Das ist der Vorgang. Gegen jeden solchen Vorgang gibt es eine Reaktion des Menschen selbst; diese beachten wir auch. Also jetzt schauen wir auf dasjenige, was sich bei einem Menschen vollzieht, der eben nicht rezitiert. Was tut er denn, wenn er zuhört? Er bringt seinen Ätherleib in Bewegung. Der Ätherleib reagiert. Der Ätherleib nimmt tatsächlich diejenigen Bewegungen an, die er ausführt, aber viel schwächer, wenn der Mensch schläft und seinen Ätherleib im physischen Leib zurückläßt. Wenn der Mensch schläft, so ist ja dieser Ätherleib wesentlich tätiger, was wenn der Mensch wacht. Nun werden in einem verstärkten Maße bei diesem abgelähmten Schlafe, der im Zuhören stattfindet, die Bewegungen des Ätherleibes wachgerufen. Man kann diese Bewegungen des Ätherleibes beobachten. Man hat also im Zuhörenden einen Menschen, der gesteigert diejenigen Bewegungen zeigt, die sonst der Mensch im Schlafe abgeschwächt zeigt. Man kann also auch beim zuhörenden Menschen, und zwar, indem es einem geradezu vordemonstriert wird, die Ätherbewegungen des Menschen beim Schlafe studieren. Man braucht den Menschen gar nicht im Schlafe zu studierten, man kann die Ätherbewegungen des Menschen studieren, wenn er zuhört, und auch da gerade die verstärkten Schlafbewegungen des Ätherleibes. Diese Bewegungen, die studiert man, und man läßt sie nun vom physischen Leibe ausführen, das heißt, man läßt den physischen Leib in alle die Ätherbewegungen hineingleiten, die man auf die eben angegebene Weise studiert hat. So dass man also in der Eurythmie dasjenige ausführt, was der Mensch beim Zuhören mit seinem Ätherleibe fortwährend ausführt." Das gilt also ganz allgemein für die Eurythmie. Indem der Eurythmisierende seinen physischen Leib in diese verstärkten Bewegungen des Ätherleibes hineingleiten läßt, wird dieser ganz Kehlkopf. Der Kehlkopf befindet sich ja immer in dieser Situation des Mitgenommenwerdens; er wird ja nicht durch Absicht bewegt. Das ist schon deutlich, wenn wir singen: wir treffen den Ton, indem wir ihn innerlich vorhören - nicht indem wir den Kehlkopf irgendwie besonders einstellen. Wenn wir eine Sprache lernen, lernt der Kehlkopf auch, in die spezifischen Formen, die ihm durch das Ohr entgegenkommen, hineinzugleiten. Das hat nun ganz besondere Bedeutung für die Sprachgestaltung. Rudolf Steiner weist darauf hin, dass sie gerade vom Selbsthören ausgehen muß: "Wenn wir versuchen werden, herüberzuleiten die bewußte Behandlung der Sprachwerkzeuge in die Handhabung der Lautgestaltung, werden wir erkennen, wie verkehrt es ist, von rein physiologischen Gesichtspunkten dabei auszugehen. Heute hat man das Bestreben, vom Standpunkt der Muskeleinstellung und so weiter zu trainieren, damit Stimmgestaltung entsteht. Es ist nicht richtig, von einer physiologischen Einstellung der Organe auszugehen, um den Laut zu suchen. Das führt nie zur natürlichen Selbstverständlichkeit in der Handhabung der organischen Funktionen. Das Sprechen muß ausgehen vom Hören, und zwar vom Selbsthören. Also Sie müssen lernen, sich selbst hören, wenn Sie anschlagen ein mm oder nn oder ll. Hören heißt in diesem Falle nicht ganz dasselbe wie im gewöhnlichen Leben. Hören ist hier etwas wie den Laut fühlen, wie wenn Sie ergreifen etwas in Brust und Kopf, was sich durch die Ohren ergießt. Sie fühlen, wenn Sie sich sensitiv erhalten, die Trommelfellbewegungen. Sprechen beruht also auf dem Hören und das Hören ist eigentlich ein Gefühl." (Methodik und Wesen der Sprachgestaltung, GA 280, s. 46f) Hier liegt also auch das Prinzip zugrunde, dass durch die Intensivierung des Hörraumes die ätherischen Bewegungen entstehen, die den Kehlkopf durchströmen und ihn in der richtigen Weise einstellen in der künstlerischen Sprachgestaltung. In dieser inneren Tätigkeit liegt eine Verwandtschaft wiederum mit dem, was dem Sprachverständnis überhaupt zugrunde liegt: indem die ätherischen Formen, die vom Kehlkopf ausgehen, sich hineinpassen in das, was vom Ohr kommt, verstehe ich. Und ich gehe ebenfalls aus vom Hören, indem ich die Sprache künstlerisch gestalte. Die ätherischen Formen, die dieser künstlerischen Sprache zugrundeliegen, rege ich durch ein inneres Hören an. In der Eurythmie ist die Situation so, dass dieser Zusammenhang zwischen Ohr und Kehlkopf aus dem Menschen heraus in den Raum hineingestellt wird. Da ist einer, der spricht und einer der eurythmisiert, der seine Bewegungen hineinfließen läßt in die Formen, die ihm vom Sprechenden entgegentönen. Für den inneren Zusammenhang zwischen Ohr und Kehlkopf übernimmt der Sprechende die Rolle des Ohres, und der Eurythmisierende wird zum Kehlkopf. Gerade durch das Lauschen auf die Sprache errege ich als Eurythmist ja meinen Bewegungsorganismus bis in die Fingerspitzen und wenn es mir dann gelingt, nicht eine bestimmte Bewegung auszuführen, nicht etwas Bestimmtes zu machen, sondern meine Bewegung nun hineingleiten zu lassen in die Formen, die durch die Sprache entstehen, dann ist erreicht, was Rudolf Steiner als die Physiologie des Eurythmisierens beschreibt. Was sich in der Sprachwahrnehmung zwischen Ohr und Kehlkopf ätherisch abspielt, das geschieht wie in einer Projektion nach außen zwischen Eurythmisierendem und Sprache Gestaltendem. Und wie im Kleinen die Möglichkeit, die Sprache zu verstehen, entsteht, ist es im Großen die Möglichkeit, das Lautwesen zu erleben. Im alltäglichen Sprachverstehen liegt also etwas wie eine Abschattung dessen, was die Begegnung mit einem Lautwesen sein kann. Das Auge hat für diese Sichtbarkeit der Sprache eine ähnliche Funktion wie das Ohr für die .Hörbarkeit" der Sprache: es ist das Tor, das wir brauchen, um Sprache zu hören bzw. zu sehen, aber natürlich ist die Sprachwahrnehmung etwas ganz anderes, jenseits von Auge oder Ohr liegendes. Für die Heileurythmie ist das Verhältnis von Kehlkopf und Ohr ganz wesentlich; es durchzieht den gesamten Heileurythmiekurs: Bei den Vokalübungen im Sprechen, Bewegen und dann wiederum Nachhören. Im Konsonantismus ist es eher das Verhältnis von Wille und Vorstellung: einerseits starkes Bewegen, wenn eine Konsonantenübung "bis zur Ermüdung" ausgeführt werden soll, andererseits aber die Forderung, sich selbst im Tun bildhaft vorzustellen, "abzuphotographieren". Es stehen sich also immer zwei Pole gegenüber: vom einen geht etwas willenshaft den Raum Erfüllendes aus und das andere ist eine aufnehmende Schale, ist Hingabe. Das wird am Beginn des Heileurythmiekurses physiologisch in der "Kehlkopfmetamorphose" geschildert und dann am Ende in der Beschreibung des ätherischen Vorganges beim Eurythmisieren wieder aufgegriffen. Zwischen diesen "umklammernden" Motiven läßt sich dasselbe Prinzip differenziert in der Handhabung der einzelnen Übungen wiederfinden. Es ist sehr subtil, wie Rudolf Steiner von der Schilderung der Kehlkopfmetamorphose dann zu den Heileurythmieübungen übergeht. Er schildert da zuerst, wie der Kehlkopf ätherisch nach hinten eurythmisiert, was dann der ganze Mensch mit den Armen nach vorne ausführt. Der Kehlkopf ist verbunden mit dem rhythmischen System, ist in ständiger Beweglichkeit und ihm gegenüber repräsentiert das Hinterhaupt die Ruhe, die Formkraft. Dann verknüpft er damit das Beispiel eines Kindes, bei dem das rhythmische System überwiegt, das ständig tut - und auf der anderen Seite ein Kind, das verharrt, das eben nicht in die Bewegung kommt. Aus dieser Polarität, die im Sprachorganismus schon liegt, sich in der Sprache in Rhythmus und Prosa zeigt, führt er über zur Pathologie und zeigt, wie hier der Ausgleich hergestellt werden kann in den heileurythmischen Übungen. Ich glaube, dass in diesem "Prinzip" des Lautsinnes etwas ganz Wesentliches der Eurythmie liegt. Wodurch wir als Eurythmisten oder Heileurythmisten wirken können, kann ja eigentlich nur sein, dass in diesem Spannungsfeld zwischen zwei Polen, die für das physische Leben fest ineinandergefügt sind, ein freier Raum entstehen kann, in dem Laute erlebbar werden, zur Erscheinung kommen können. Dieser Raum ist ausgespart aus dem physischen Organismus und bildet so etwas wie ein Tor zwischen den zwei Säulen des frei beweglichen Willens einerseits und den Formkräften andererseits. Durch dieses Tor können wir den Lautwesen in immer neuer, lebendiger Weise erlebend begegnen, durch dieses Tor können sie in die irdische Welt hinein auch heilende Wirksamkeit entfalten.

(Nachschrift eines Vortrags gehalten am 2.Juni 1992 bei der Heileurythmie-Tagung des Berufsverbands in Engelberg) Martin-Ingbert Heigl